Eine Gesundheitsdystopie als Theaterstück - aktueller kann das Staatstheater Wiesbaden nicht aufspielen

Hinzugefügt am 04. März 2022

Teaser

Schülerinnen und Schüler der Klasse 10 A und des Grundkurses 11 Deutsch besuchten am 31.01.2022 zusammen mit Ihren Lehrkräften Frau Scherf und Frau Müller die Theaterinszenierung des Bestseller-Romans „Corpus delicti“ von Juli Zeh im Wiesbadener Staatstheater. Dass die Inszenierung des im Unterricht durchgenommenen Romans die Schüler nachhaltig beeindruckt hat, zeigt die nachfolgende Rezension :

Rezension des Theaterstücks „Corpus Delicti“
von Nicola Kronenwerth (10 A)

Es ist bezeichnend, dass die ersten Momente des im Staatstheater Wiesbaden von Daniel Kunze inszenierten Theaterstücks „Corpus Delicti“ mit einer Wiederbelebung beginnen und uns damit für die Dauer des Stückes in einen Kampf in einer sterilen Welt versinken lassen.

Vor allem steril ist hierbei das Bühnenbild, dass sich vor allem aus weißen Folien und klar abgrenzenden Linien ergibt, eine minimalistische Bühne für einen Kampf zwischen erhitzten Ideologien. Dabei macht das strahlend weiße Bühnenbild sowie auch das kleidungstechnisch weiß gehaltene Ensemble klar, wie übermächtig die Ideologie der dargebotenen Welt ist und dass es nur einen Gewinner geben kann. Auch die Bühnentechnik unterstützt den minimalistischen Effekt, ganze Szenen, wie zum Beispiel die Gerichtsverhandlung, werden durch geschickte Lichtsetzung und das Einsetzen audiovisueller Effekte getragen. Nur gegen Ende fängt die weiße Kulisse an zu bröckeln, mit dem erbitterten Streit werden auch vermehrt Requisiten eingesetzt, die die weiße Umgebung brechen.

So verhalten das Bühnenbild ist, umso dichter ist der Dialog, den sich die Figuren auf der Bühne regelrecht an den Kopf werfen. Das Stück ist dabei sehr nah an seiner Vorlage, ganze Passagen lassen sich auf der Bühne eins zu eins aus dem Buch rezitieren, was natürlich zur dichten Atmosphäre beiträgt, auch wenn hin und wieder Szenen, vor allem die eingestreuten Rückblenden, ohne Dialog, eher traumhaft dargestellt werden. Getragen werden die Dialoge dabei von dem fünfköpfigen Ensemble, welches hier eine beachtliche Leistung voller Emotionen darbietet, die der Einfachheit der Bühne auffällig einen Kontrast bietet. Jeder verkörpert dabei die verschiedenen Figuren mit einprägsamer Mimik und Gestik, sei es Christina Tzatzaraki in der Rolle der eiskalten Richterin, die mühelos auch eine dümmliche Moderatorin mimen kann, Felix Strüven, der sich, im Gegensatz zu seiner Figur Rosentreter, kein einziges Mal in seinem Monolog aus abgehaktem Stottern verheddert oder Kramer, der durch Christian Klitsch eine Darstellung als eleganter Intrigant erhält, die der Buchfigur durchaus würdig ist. Der von Paul Simon verkörperte Moritz Holl tanzt als verträumter Rebell über die Bühne  und dank Lina Habicht braucht Mia Holl kein Mikrophon, um das Theater zusammenzuschreien. Am Ende wird sie nicht nur gekreuzigt, sie wird vor uns an einem Gestell aufgehängt, ein letztes Mal in den Mittelpunkt unserer Aufmerksamkeit und der der METHODE gestellt. Während sie vorne den symbolischen Märtyrertod stirbt, wird der Leitsong des Stücks (Billie Eilishs „Bury A Friend“), der uns das Stück über als emotionaler Leitfaden gedient hat, in voller Länge wiedergegeben und als Mia am Ende gebrochen, gedemütigt und verzweifelt im Dunkeln zurückgelassen wird, trifft uns diese Erkenntnis auf der Bühne härter als auf dem Papier.

Letztendlich zeigen sich hier die Vorteile, einen Roman zu adaptieren, der ursprünglich sowieso als Theaterstück konzipiert worden ist. Das Stück ist nah an der düsteren Atmosphäre des Buches dran, verhandelt dessen Fragestellungen auf einer metapherlastigen Bühne. Dabei verzichtet die Inszenierung auf Kulissen und Requisiten, nicht aus Faulheit oder Unwissenheit, sondern sie stellt diese Dinge bewusst zurück, um den Diskurs zwischen den Figuren wirken lassen zu können. Das zeigt den Unterschied zwischen Theaterstück und Film: Nicht durch die Kamera und ausschließlich den eigenen Blickwinkel erzählen zu können, sondern die Figuren das Thema durchdiskutieren lassen zu müssen.

Bildquelle: Staatstheater Wiesbaden

Eingestellt von Scherf / Me